Mittwoch, 16. März 2011

Geologie der Pulsnitz

Der Name „Pulsnitz“ stammt von dem urslawischen Wort „pьlz“, was „kriechen“ oder „langsam bewegen“, also hier: "langsam dahinfließendes Gewässer" bedeutet. [1] Pulsnitz ist also namensverwandt mit dem tschechischen Pilsen (Plzeň) und auch die Frage ist geklärt, ob der Fluss der Stadt oder die Stadt dem Fluss den Namen gegeben hat.Vielleicht besteht auch eine Wortverwandschaft zum lateinischen pulsare ("klopfen", eben "pulsieren") [2]

Die Quelle der Pulsnitz liegt unscheinbar in der Gemeinde Ohorn. die auch hier, am Fuß des ''Tannebergs'' auf ca. 310 m ÜNN entspringt.[3] Der Tanneberg gehört zu den Oberlausitzer Vorbergen (auch: Hochstein-Bergkette), die von der Massenei bis zum Kamenzer Hutberg reichen. Der ''Hochstein'' als höchste Erhebung erreicht 449 m ÜNN, der Kamenzer Hutberg immerhin noch fast 300 m. Die Bergkuppen dieser aus Granit geformten Kette sind ungefähr doppelt so hoch wie das jeweils umliegende Gelände. Wer auf der Via Regia oder der A4 aus östlicher Richtung kommt, sieht kurz hinter Bautzen diese beeindruckende Gebirgsfront stehen, die er schließlich in dem Gebiet von Burkau, Rammenau und Ohorn durchqueren muss. Im „Hochsteingebiet“ liegen im Abstand von 3 km die Quellen von Pulsnitz, Röder und Schwarzer Elster. Die Elster fließt nach Norden über Elstra, die Röder nach Südosten über Röderbrunn und die Pulsnitz nach Nordosten über Pulsnitz. Alle drei Flüsse vereinigen sich bei Elsterwerda und legen bis da hin zwischen 80 und 100 km Wegstrecke zurück. Die Elster wählt den längsten Weg, indem sie den Gebirgskamm zunächst in östlicher Richtung verlässt und ihn dann nach Norden begleitet. Die Röder nimmt die Passage zwischen Hochstein und Massenei. Das von ihr durch das Gebirge geschaffene Weg nutzt bis Radeberg die A4. Die Pulsnitz hat sich den schwierigsten Weg ausgesucht, fließt bis Königsbrück zwischen den Bergen, hat es danach aber von allen drei Flüssen auch am besten.

Mit ihrem Ursprung auf 360 m hat sie über die 90 km bis zur Mündung nur 220 Höhenmeter zurückzulegen. Die 200 m Marke „knackt“ an der Ortsgrenze von Reichenbach nach Reichenau, hat also auf den ersten 13 Kilometern mit einem durchschnittlichen Gefälle von nur 1,23% [4] schon das „Schlimmste“ hinter sich. Die nächsten 100 Höhenmeter überwindet sie auf ca. 30 km mit 0,3% Gefälle bis unmittelbar hinter Ortrand, um dann für den gesamten Rest bis Elsterwerda auf weniger als 20 km nur noch gemütliche ?? Höhenmeter zu haben. Allerding zweigt an der 100m-Marke, also noch vor der Unterquerung der A 13, die „Alte Pulsnitz“ ab, die sich bei Lindenau noch mal kurz mit der „Neuen Pulsnitz“ vereint, um sich danach in eine neuerliche Pulsnitz und „Grenzpulsnitz“ zu teilen. Dieser Fakt wird im Folgenden noch wichtig sein, denn die historische Grenze, über die wir im Folgenden reden werden, bezieht sich auf die Alte Pulsnitz und die Grenzpulsnitz, die nach Tettau weiterfließt und sich dort in den „Hauptschradengraben“ ergießt und sich praktisch an der Stelle, wo sie früher in die Elster mündete, in dem von Menschenhand geschaffenen Kanalsystem auflöst. Die Elster fließt heute streng kanalisiert 3 km weiter nördlich an diesem einst westlichsten Punkt der Oberlausitz vorbei.

Aber zu diesem historisch spannenden Stück Pulsnitz kommen wir später. Naturräumlich spannend sind der erste Abschnitt bis Königsbrück und der zweite Abschnitt durch die Königsbrücker Heide. Das beschriebene geringe Gefälle erklärt im Nachhinein die Namenswahl der „Kriechenden“. Das Kriechen als Bewegungsform erinnert an Schlangen oder Reptilien. Etwa so muss sich die Pulsnitz zunächst auch durch die Oberlausitzer Vorberge bewegen. Während die Elster von der östlichen Teilkette der Oberlausitzer Vorberge (Hochstein (449 m), Schwarzenberg (413 m), Hennersorfer Berg (387 m), Golksberg (302 m), Hutberg (293 m), Vogelberg (263 m – von Süd nach Nord) Richtung Kamenz gelenkt wird, windet sich die Pulsnitz und der in sie mündende Haselbach zwischen einer mittleren und einer westlichen Teilkette hindurch. In der mittleren ragen besonders Heiliger Berg (353 m), Wüsteberg (351 m), Wahlberg (359 m), Spitzberg (289 m) und Breitenberg (298 m – v. S n. N ) heraus. Die westliche Flanke bildet das Keulenbergmassiv, im Süden beginnend mit dem Tännichtberg (320 m) über den Kleinen (390 m) zum (Großen) Keulenberg (414 m) und dem Vogelberg (296 m). Das Massiv läuft nach Norden hin sanft aus und endet am Wagenberg (260 m) und dem Lindenberg, der in dieser Richtung mit 212 m letzten über 200 m hohen Erhebung.

Am Ortsende von Reichenau hat sich die Pulsnitz entschlossen, das Keulenbergmassiv zu durchbrechen und ein tiefes Tal geschaffen, das heute als NSG genau diesen Namen trägt. Dieses Tal quert man, wenn man von Gräfenhain nach Königsbrück fährt. Nach der Flußquerung geht es steil hinauf nach Königsbrück. Man ahnt schon aus den geologischen Gegebenheiten, dass die über der Pulsnitzaue ruhende mittelalterliche Stadt hier ein ideal zu verteidigender Vorposten war.

Nachdem die Pulsnitz hier das Oberlausitzer Bergmassiv überwunden hat und die nun immer flacher und schließlich zu Hügeln werdenden Berge links liegen lässt, erreicht sie den ehemaligen Truppenübungsplatz, das heutige Naturschutzgebiet Königsbrücker Heide, das mit seinen 75 km² das größte in Sachsen und das drittgrößte in Deutschland ist. Als Totalreservat kann die Natur hier „machen was sie will“. Das gilt auch für die Pulsnitz, die hier nach Belieben mäandern darf. Das Belieben wird lediglich durch zwei „Kräfte“ begrenzt. Die „2. Kraft“ ist einer der besten Baumeister der Natur, der Elbebiber. ??? Familien dieses imposanten Tiers, das (ohne Schwanz gemessen) bis zu 1,50 m groß wird. Sie stauen an, leiten um, kanalisieren – aber die „1.Kraft“ können auch sie nicht überwinden. An den Nordausläufern der granitenen Oberlausitzer Vorberge beißt er sich die Zähne aus. Hier bilden die umliegenden Hügelketten natürliche Barrieren von mindestens 10 m Höhe, die auch der Biber nicht anstaut. Am Ausgang des Naturschutzgebietes, wo der Höhenunterschied zur Umgebung nur noch 3 m oder weniger beträgt, wird die Pulsnitz bereits wieder in einen künstlichen Flussbett eingefangen.

Ausgangs der Königsbrücker Heide hat die Pulsnitz nach mal ein Schlupfloch durch die Oberlausitzer Vorberge gefunden, die jetzt in den Kmehlener Bergen in Ost-West-Richtung endgültig auslaufen. Hier verläuft die Sächsisch-Brandenburgische Grenze. Auf sächsischer Seite ist der für Sachsen unbedeutende Hutenberg 212 m hoch, der höchste Berg Brandenburgs, der Kutschenberg, scheitert knapp an der 200-Meter-Marke. Die Pulsnitz interessiert das hier kaum noch, denn sie hat jetzt weites, flaches Land vor sich, in dem sie sich die Stelle theoretisch aussuchen kann, an der sie in die Elster mündet. Die Bewohner des Schradenlandes haben ihr die Arbeit aber durch Kanalisation und Melioration abgenommen.

Um zu verstehen, dass die Pulsnitz einst zum Grenzfluss taugte, muss man die Geologie ihrer Umgebung verstehen. Die Oberlausitzer Vorberge waren die entscheidende landschaftliche Marke, die die Lebensräume in früheren Besiedlungszeiten voneinander trennte.

Nicht nur von Bautzen kommend wirken die Vorberge imposant. Wenn man oberhalb der linkselbischen Täler steht, von wo man im Norden Meißen erblickt und im Süden das Elbsandsteingebirge, wenn man dann den Zusammenhang dieses urbanen Talkessels begreift und den überwältigenden Eindruck, den er hinterlässt, für einen Moment überwinden kann und zum östlichen Horizont blickt, also über die Weinberge hinaus, so entdeckt man eben jene Bergkette, aus der der Keulenberg herausragt und begreift ihn sofort als Ende dieses Gebietes.

Als sich hier die Elbsorben ansiedelten, müssen sie es ähnlich gesehen haben. Ihre entfernten Verwandten, die Milzener, die wir heute Obersorben nennen, und die um Bautzen herum siedelten, müssen es ähnlich gesehen und empfunden haben, nur aus der anderen Richtung (siehe Karte „Siedlungsräume“): Jenseits liegt das jeweils andere Land. Erst später, als die Besiedlung aus beiden Richtungen expandierte, einigte man sich auf eine Grenze. Was eignete sich da besser als ein Fluss mitten in dieser Bergkette – die Pulsnitz?


[1] Walter Wenzel, Lausitzer Ortsnamenbuch, Domowina-Verlag Bautzen, 1. Aufl. 2008
[2] Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, Suchwort Puls
[3] Landesvermessungsamt Sachsen, Topographische Karte, Blatt 41 Kamenz, Pulsnitz, 1997
[4]Anleiter GmbH, Prinzessinnenstraße 19-20, 10969 Berlin, Deutschland, Anleitung: Wie berechnet man ein Gefälle

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